Prolog
„Du hast was?“ Völlig entgeistert starrte Ethan Washington seinen Mandanten, Vertrauten und besten Freund an. Er musste sich beherrschen, ruhig zu bleiben.
Darren winkte lässig ab. „Reg dich nicht auf. Ich habe alles unter Kontrolle.“
„Und was sagt Rayna dazu, dass du diesen Typen engagiert hast, damit er mit ihr ausgeht?“
„Sie wird es nie erfahren.“
Ethan verdrehte die Augen. Seiner Meinung nach war Rayna in einem Alter, in dem man ihr die Freunde nicht mehr aussuchen musste.
„Wenn sie sich mit Jungs treffen will, dann mit solchen, die ich kontrollieren kann und die nicht auf dumme Gedanken kommen.“
Ethan schüttelte den Kopf. „Sie ist deine Schwester und sie ist volljährig.“
„Meine Aufgabe ist es, auf sie aufzupassen.“
„Und das hältst du für den richtigen Weg?“
„Ja. Und du bist der Letzte, mit dem ich darüber diskutieren möchte. Als mein Anwalt stehst du unter Schweigepflicht“, beendete Darren das Gespräch.
Ethan überlegte einen Moment, ob er widersprechen sollte, entschied sich jedoch, keine Konfrontation mit Darren einzugehen. Das war eine Familienangelegenheit und – so nahe er der Familie auch stand – er war kein Teil von ihr.
„Können wir jetzt über die Dinge sprechen, wegen denen du gekommen bist?“, wollte Darren ungeduldig wissen.
Ethan richtete sich in seinem Sessel auf. Jetzt ging es ums Geschäft. Ein Thema, bei dem er ruhig und sachlich bleiben konnte. „Selbstverständlich.“
Darren lehnte sich in seinem Stuhl zurück, legte die Arme auf die Lehnen und sah ihn aufmerksam an. „Was hast du herausgefunden?“
„Es ist leichter, einem Floh das Tanzen beizubringen, als mehr über diesen Ring herauszufinden.“
Darrens Miene verdüsterte sich.
„Ich werde heute Abend eine Party besuchen, bei der ich Lenore Winnett treffe. Wenn sich jemand mit Schmuck auskennt, dann sie.“
„Hoffen wir, dass du erfolgreich sein wirst.“
Ethan erhob sich, schloss einen Knopf seines Sakkos und griff nach seiner Aktentasche. „Unabhängig davon werde ich nach Deutschland reisen.“ Für ihn war es wichtig, den Ort in Augenschein zu nehmen und die Unterlagen der Behörden einzusehen. Von hier aus waren ihm die Hände gebunden, aber in Deutschland könnte er etwas ausrichten.
„Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“
„Ich bin alt genug, um auf mich aufzupassen, Darren“, wies er seinen Freund zurecht.
„Ich möchte nur, dass du vorsichtig bist.“
„Das bin ich immer.“ Er nickte Darren zum Abschied zu und verließ das Arbeitszimmer.
Kapitel 1
Rayna blickte auf ihr mit Armreifen behangenes Handgelenk. Sie hatte die Hände auf den abgenutzten Bistrotisch gelegt, die Finger verkrampft ineinander verschränkt. Ihr gegenüber saß Dave auf einer Bank, deren hässliches rotes Kunstleder an mehreren Stellen aufgerissen war. Der Diner war in die Jahre gekommen. Warum hatte sie sich eigentlich so herausgeputzt? Für dieses blöde Restaurant hätten es auch ein einfaches T-Shirt und eine Bluejeans getan. Stattdessen saß sie hier in ihrer engen schwarzen Jeans und dem Neckholdertop mit den Glitzerpailletten, das sie sich von ihrer besten Freundin Alice geliehen hatte. Sie war definitiv viel zu overdressed.
„Wie kommst du mit deiner Hausarbeit voran?“, fragte Dave und zog geräuschvoll an seinem Strohhalm.
„Ganz gut“, wich ihm Rayna gelangweilt aus. Sie wollte nicht über die Hausarbeit sprechen. Seit zwei Stunden drehten sich ihre Gespräche um Professoren, Mitstudenten und andere Uni-Themen. Es war Samstagabend, und sie wollte Spaß haben, feiern.
Dave war bereits im letzten Semester und stand kurz vor seinem Abschluss. Im Gegensatz zu ihr als Neuling war er auf die richtig coolen Partys eingeladen. Das wusste sie von Erzählungen und Fotos, die in den sozialen Netzwerken verbreitet wurden. Dave war eigentlich kein Kind von Traurigkeit, denn zumindest auf den Bildern – die ihn so ganz nebenbei mit diversen Mädchen zeigten – konnte er Spaß haben. Deswegen verstand es Rayna überhaupt nicht, warum er sie hierhergebracht hatte.
Die ehemals roten Vorhänge des Diners waren verblichen, die Sitzgelegenheiten an etlichen Stellen aufgerissen und nur notdürftig geflickt. Die einzige Kellnerin in diesem Laden stand gerade in ihr Handy vertieft hinter der Theke und kümmerte sich nicht um die Gäste. Zeit dazu hatte sie, denn schließlich war hier kaum etwas los. Außer ihnen saß am Nebentisch noch ein älteres Ehepaar. Am Tresen hockte ein weiterer Mann, der ein Bier trank und das Footballspiel im Fernsehen verfolgte.
Frustriert griff Rayna nach ihrer Coke, ignorierte das Klimpern ihrer Armreife und nahm einen großen Schluck.
„Ich finde es so schön, dass wir uns endlich in Ruhe unterhalten können“, beteuerte Dave und schenkte ihr ein warmes Lächeln.
Ruhe. Ja, Ruhe hatten sie hier definitiv. Nach ihrem Geschmack eindeutig zu viel. Rayna wollte nicht unhöflich sein, und so zwang sie sich dazu, ihn unverbindlich anzulächeln. Sie mochte Dave, sie mochte ihn wirklich. Er betreute in seinem letzten Semester die Neueinsteiger im Bereich Betriebswirtschaft und machte das ziemlich gut. Er war nett, durch den Leichtathletik-Sport äußerst durchtrainiert, freundlich, zuvorkommend und hatte etwas im Kopf. Er würde sein Betriebswirtschaftsstudium beenden und dann in das Papierverarbeitungsunternehmen seiner Familie einsteigen. Sein Leben schien ebenso vorgeplant zu sein wie ihres. Doch im Gegensatz zu ihr sah es bei ihm nicht so aus, als störte er sich daran.
„Hast du mitbekommen, wie weit ich beim letzten Wettkampf gesprungen bin?“
Rayna schüttelte den Kopf und hörte kaum zu, als Dave von seinem Triumph berichtete.
Sie dachte an die unbeschwerte Zeit am Anfang ihres Studiums zurück. Damals hatte sie Dave super gefunden. Mit großen Augen hatte sie zu ihm aufgesehen, ihm zugehört, wie er von der Universität, den Eigenheiten der Professoren und dem Alltag auf dem Campus berichtet hatte. Er führte sie durch die Bibliothek und stellte ihr die Männer vom Sicherheitsdienst vor. Nicht nur sie, auch die anderen Erststudentinnen himmelten ihn an. Dave blieb nett, aber distanziert. Dann sprach er sie immer öfter an. Zuerst unverbindlich, dann häufiger, bis er sie letzte Woche um ein Date bat. Rayna war im siebten Himmel gewesen – zumindest bis sie den Diner betreten hatten. Noch immer kam sie sich vor wie im falschen Film. Wo war der Dave von den Bildern hin, der ein Mädchen im Arm hielt und ihr mit einem Cocktail zuprostete? Lag es an ihr? Empfand er sie als zu langweilig, zu jung? Mit ihren knapp zwanzig Jahren konnte sie ihm nicht zu alt sein. Sie wusste aber, sie hatte sich im letzten halben Jahr verändert. Natürlich war sie erwachsener geworden, aber seit sie nur knapp dem Tod von der Schippe gesprungen war, sah sie vieles anders. Damals entzog ihr ein auf Cheetah Manor vergrabenes Amulett die Lebensenergie, und wenn Darren sie nicht nach Hause geholt hätte, wäre sie tatsächlich gestorben. Seitdem fühlte sich das Leben nicht mehr so unbeschwert an. Sie dachte über viele Dinge nach, war in sich gekehrter und ruhiger geworden. Immer wieder ertappte sie sich dabei, dass sie sich ernsthaft fragte, worin der Sinn des Lebens bestand. Nie zuvor hatte sie ihren vorgezeichneten Lebensweg infrage gestellt. Wie auch zuvor ihre Brüder, Darren und Eric, studierte sie an der Loyola University Betriebswirtschaftslehre. Was sie mit diesem Wissen einmal anfangen wollte, wusste sie nicht. Darren leitete die Baumwollplantage, während sich Eric um die Weberei kümmerte. Was blieb da noch für sie übrig?
„Ich bin mal eben auf der Toilette.“ Eilig erhob sich Dave und verschwand.
Perplex sah ihm Rayna nach. War sie so eine schlechte Gesprächspartnerin? Sie lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte in die Dunkelheit hinaus. Vor dem Gebäude war es ruhig. Ein Auto verließ gerade im gemächlichen Tempo den Parkplatz. Rayna ließ ihren Blick durch den Diner gleiten. Das ältere Ehepaar war verschwunden. Die gelangweilte Kellnerin sammelte gerade das benutzte Geschirr am Nebentisch ein und trug es fort.
Daves Handy auf dem Tisch vibrierte. Das Display schaltete sich ein, und die neue Kurznachricht wurde sichtbar. Rayna wollte nicht spionieren. Daves Handy ging sie überhaupt nichts an. Aber ihr Blick glitt unwillkürlich über das beleuchtete Display. Im ersten Moment ergaben die Worte keinen Sinn.
Bring sie auf andere Gedanken und sei nett zu ihr. Aber denk daran, deine Finger bei dir zu behalten. Darren.
Sekundenlang saß Rayna einfach nur da, starrte das Handy an, dessen Bildschirm längst wieder schwarz war. Eine gähnende Leere breitete sich in ihr aus, betäubte alle anderen Gefühle. Vermutlich war das gut so, denn wenn sie vor Wut geschäumt hätte, wüsste sie nicht, ob sie die Gepardin zurückdrängen könnte. Eine Frage schwebte über allem, eine Frage, auf die sie einfach keine Antwort fand. Wie konnte Darren ihr so etwas antun?
Mit welchem Recht hatte er mit Dave Kontakt aufgenommen? Mit welchem Recht mischte sich ihr Bruder in ihr Leben ein? Darren war schon immer ein Kontrollfreak gewesen, deswegen war sie so froh, jetzt in New Orleans zu leben. Als sich andeutete, dass er häufiger vorbeischauen würde, hatte sie ihm kurzerhand Campusverbot erteilt, woran er sich zu ihrer Überraschung auch gehalten hatte.
Dave kam zurück. Er setzte sich ihr gegenüber und sah sie nachdenklich an: „Alles okay bei dir?“
„Nein“, sagte Rayna ruhig und stand auf. War er mit ihr nur ausgegangen, weil Darren es so wollte?
„Kann ich dir helfen?“, bereitwillig sprang Dave auf und beeilte sich, den Tisch zu umrunden.
Rayna hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. „Du setzt dich hin und bleibst hier.“ Ihre Worte waren schärfer als beabsichtigt, aber zumindest zeigten sie Wirkung. Dave ließ sich brav auf seinen Stuhl nieder und blickte sie mit großen Augen an.
„Was habe ich getan?“, fragte er kleinlaut.
„Ich werde jetzt gehen, und ich möchte, dass du mich nie, nie wieder ansprichst. Haben wir uns verstanden?“
Dave schien absolut nicht zu kapieren, was hier los war. Aber das war Rayna egal. Spätestens wenn er seine Handynachricht las, konnte er eins und eins zusammenzählen.
Hoch erhobenen Hauptes verließ Rayna den Diner. Bis zum Campus war es knapp ein Kilometer. Trotz des schwülen Abends begann sie zu frösteln und verschränkte die Arme vor der Brust. Glücklicherweise hatte sie flache Schuhe angezogen, sonst wäre der Fußmarsch äußerst schmerzhaft geworden.
Die lähmende Fassungslosigkeit verwandelte sich in Wut. Rayna ballte die Hände zu Fäusten. Ihre Fingernägel gruben sich tief in ihre Handballen. Der Schmerz half, die Kontrolle über das Tier zu behalten, das dicht unter ihrer Haut saß. Es wollte in die Freiheit entlassen werden. Wie gerne hätte sie sich jetzt in einen Gepard verwandelt, wäre durch die Sümpfe von Cheetah Manor gestreift, um ihren Frust abzubauen. Sie wollte die Krallen ausfahren, an einer der alten Eichen wetzen oder so schnell sie ihre Beine trugen, durch das Unterholz rennen, bis ihre Lungen brannten. Stattdessen war sie in New Orleans in ihrem menschlichen Körper gefangen. Sich hier zu verwandeln, wäre viel zu gefährlich. Ein tierisch klingendes Knurren konnte sie allerdings nicht unterdrücken.
Zum Glück war die Gegend menschenleer.
Die Wut auf Darren wuchs. Wie konnte er so etwas tun? Er mochte ihr Bruder sein und sie beschützen wollen, aber es stand ihm nicht zu, sich so in ihr Leben einzumischen und ihre Freunde auszusuchen. Das Schlimmste an allem war, dass Dave auch noch mitgespielt hatte. Mit ihm war sie definitiv fertig. Sollte er sich doch weiter mit seinen Party-Tussis amüsieren. Bei ihr brauchte er nicht mehr aufzutauchen.
Tränen brannten in ihren Augen. Sie wollte nicht weinen, nicht hier auf der Straße. So biss sie die Zähne zusammen und marschierte weiter.
Kapitel 2
Da es vor dem Club immer so voll war, hatte Rayna den Taxifahrer gebeten, sie etwas früher aussteigen zu lassen. So musste sie zwei Straßen laufen, nur um dann zu erkennen, dass die Schlange vor dem Nachtclub noch länger war als erwartet. Doch das Taxi war bereits weitergefahren. Rayna stellte sich an und wartete. Immer mehr Menschen standen hinter ihr. Am Eingang schien es kaum voranzugehen.
„So etwas Blödes“, regte sich ein dünnes Mädchen lautstark auf, das ein paar Meter hinter ihr stand. „Ist der Club wegen Überfüllung geschlossen?“
Ihre Begleiter versuchten sie zu beruhigen. Schließlich marschierte die Gruppe davon.
Rayna sah sich unsicher um. Immer wieder verließen entnervte Wartende die Schlange. Rayna rutschte zwar weiter nach vorne, war aber noch immer weit vom Eingang entfernt.
Langsam stiegen Zweifel in ihr auf. Wie dumm war sie eigentlich? Das Geld, das von der Taxifahrt übrig geblieben war, reichte gerade noch für den Eintritt in den Club, jedoch nicht mehr für die Rückfahrt mit dem Taxi. Weder Busse noch Straßenbahnen fuhren um diese Uhrzeit. Rayna hatte absolut keine Lust, durch das nächtliche New Orleans zu laufen. Also verharrte sie weiter in der Schlange und hoffte darauf, dass es endlich weiterging. Gelangweilt blickte sie sich um. Die meisten waren zu zweit oder in größeren Gruppen hier und unterhielten sich. Rayna verschränkte schützend die Arme vor der Brust und trat von einem auf den anderen Fuß. Sie fühlte sich unwohl hier, so ganz allein. Niemand, den sie kannte, niemand, mit dem sie sich unterhalten konnte, um wenigstens die Zeit zu vertreiben.
„Hi“, sprach sie plötzlich jemand von hinten an.
Rayna drehte sich erschrocken um. Hinter ihr stand eine Frau, ein wenig älter als sie selbst. Lange dunkle Haare fielen ihr über die Schultern. Sie überragte Rayna um einen ganzen Kopf. Die dicken dunkelrot geschminkten Lippen zogen Raynas ganze Aufmerksamkeit auf sich.
„Sorry. Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich bin Beatrice.“ Der dunkelrote Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Bist du allein hier?“
Raynas Blick huschte nach rechts und links. Niemand schien sie zu beobachten. Langsam nickte sie.
„Echt schade, dass der Club schon voll ist. Aber die Nacht ist noch jung. Hast du Lust, mit ein paar Mädchen auf eine richtig coole Party zu gehen?“
Vorsichtig blickte sich Rayna um. Wer war die Frau? Was wollte sie von ihr?
„Nicht so ein lahmer Schuppen wie hier. Eine anständige Party mit erwachsenen Männern, die richtig Kohle haben.“
Rayna zögerte. Aber schließlich war sie hergekommen, um Spaß zu haben, zu feiern, zu trinken und um Männer kennenzulernen. Richtige Männer, keine Milchgesichter. Je länger sie über das Angebot nachdachte, umso verlockender erschien es ihr. Aber konnte sie der Frau trauen?
„Was kostet der Spaß?“, erkundigte sich Rayna, konnte ihr Interesse nicht ganz verbergen.
Beatrice lächelte. „Hast du schon etwas von der Starlight-Agentur gehört?“
Rayna nickte. Alice hatte ihr davon erzählt. Dort konnte man hübsche Mädchen für Partys oder Empfänge buchen. Rayna hatte nur nicht gedacht, dass die Agentur die Mädchen vor den Clubs einsammelte.
Beatrice reichte ihr eine Visitenkarte. „Ich bringe dich kostenlos auf eine Party. Die Getränke dort sind teuer, aber wenn du den Männern ein paar Freiheiten zugestehst, werden sie gerne bereit sein, dich einzuladen.“
Freiheiten? War es nicht genau das, was sie wollte? Fremden Männern ein paar Freiheiten zugestehen? Endlich etwas wagen? Nun, sie war nicht die Geübteste darin, aber es sollte doch nicht so schwer sein, angetrunkene Männer um den Finger zu wickeln. Sicher fand sie dort einen netten Kerl, mit dem sie sich amüsieren konnte.
Rayna ließ den Blick abwechselnd zwischen Beatrice und dem Club hin und her schweifen. Die Chancen, dass sich die Türen öffneten und die Türsteher sie einließen, standen gleich null. Der nächste Club war mindestens eine halbe Meile entfernt. Beatrice sah vertrauenserweckend aus, die Visitenkarte wirkte echt und von der Starlight-Agentur hatte sie nur Gutes gehört.
„Na, was ist? Die Mädels dort drüben kommen auch mit.“ Beatrice deutete mit einem Kopfnicken zur Seite. Dort standen drei junge Frauen etwas abseits und unterhielten sich aufgeregt.
Jetzt musste sich Rayna entscheiden. War sie bereit, ein Risiko einzugehen?
Sie lächelte Beatrice an. „Danke für die Einladung. Ich freue mich auf die Party.“
Die erwiderte das Lächeln. „Wunderbar. Dann los!“
Rayna trat aus der Schlange und folgte Beatrice, die sie zu den anderen führte.
„Ist es weit?“, fragte sie skeptisch und befürchtete, dass sie einen längeren Fußmarsch in den High Heels nicht überstehen würde.
Beatrice drehte sich im Laufen zu ihr um. „Nicht wirklich, aber wir werden abgeholt.“
Rayna blieb keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn sie erreichten die anderen Mädchen.
„Meine Damen“, verkündete Beatrice strahlend. „Darf ich euch miteinander bekannt machen.“ Sie deutete auf das Mädchen neben sich.
„Thordis?“
Verneinend schüttelte die Blonde mit den kinnlangen Haaren den Kopf. „Tamara.“
„Tamara“, wiederholte Beatrice und lächelte die Blonde entschuldigend an. „Carolin“, fuhr sie fort und deutete auf eine hübsche Afroamerikanerin. „Mia.“ Die langbeinige Brünette nickte.
„Und wie heißt du?“
„Rayna.“
„Wunderbar, dann kennen wir uns jetzt.“ Beatrice klatschte in die Hände. „Lasst uns fahren!“
Rayna wollte sich gerade nach einem Taxi umsehen, zumindest hatte sie damit gerechnet, dass sie so von hier fortkommen würden, als eine schwarze Stretchlimousine neben ihnen hielt. Beatrice öffnete die Tür und winkte die Mädchen zu sich. Mit großen Augen drängten sie näher. Carolin machte den Anfang, dann folgten Mia, Tamara und schließlich Rayna. Beatrice war die Letzte und zog die Tür hinter sich zu.
Rayna und die anderen staunten nicht schlecht. Sie saßen auf einer langgezogenen Lederbank, die mehr einer gemütlichen Couch glich. Ihnen gegenüber befand sich eine Minibar.
„Bevor es richtig losgeht, benötige ich noch eine Unterschrift von euch.“ Sie reichte jeder von ihnen ein paar Papiere. Das Licht in der Limousine ließ zu wünschen übrig. Das Logo der Agentur war gut lesbar, aber bei dem klein geschriebenen Text verschwammen die Buchstaben vor Raynas Augen.
„Bitte tragt euren Namen ein und unterschreibt. Es geht nur darum, dass die Agentur für nichts, was ihr auf der Party tut, verantwortlich gemacht werden kann.“
Carolin griff als Erste nach dem Kugelschreiber, trug ihren Namen ein, setzte ihre Unterschrift darunter und reichte die Papiere strahlend an Beatrice zurück. Mia und Tamara folgten Carolins Beispiel. Rayna versuchte zwar ein paar Zeilen zu lesen, gab aber schließlich auf. Nach ihrem Ermessen ging es wirklich nur um eine Absicherung der Agentur. Sie füllte das Formular aus und gab es zurück.
Die Mädchen plauderten entspannt und Rayna ließ sich davon anstecken.
Beatrice räumte die Papiere fort und öffnete die Minibar, um eine Flasche Champagner und Gläser zum Anstoßen zu holen.
Die Vorfreude auf die Party wuchs.
„Auf einen wunderbaren Abend.“
Sie prosteten sich zu, und Rayna nahm einen großen Schluck. Alles fühlte sich wie in einem Traum an. Zu schön, um wahr zu sein. Es war die beste Entscheidung des Abends, mit Beatrice mitzugehen. Rayna fühlte sich rundum wohl. Der Champagner schmeckte gut, war nicht zu herb und prickelte angenehm in der Kehle.
„Wo geht es denn hin?“, fragte Tamara neugierig.
„Auf eine Yacht“, erklärte Beatrice geheimnisvoll.
„Eine Yacht?“, quietschte Carolin vergnügt und hielt sich an Mia fest. Die beiden sahen sich an und brachen in lautes Gekicher aus.
Die Stimmung war ausgelassen. Nur zwei Gläser Champagner lang dauerte die Fahrt.
Dann hielt die Limousine an. Beatrice öffnete die Tür und kletterte als Erste ins Freie. Rayna folgte ihr. Eine kühle Brise schlug ihr entgegen und ließ sie einen Moment frösteln. Sie musste sich am Wagen festhalten, denn die Umgebung schwankte ein wenig. Vor sich sah Rayna das Meer. Nicht weit von ihnen lagen die ersten kleineren Boote, weiter hinten die Yachten.
In Raynas Bauch kribbelte es vor Vorfreude. Carolin hakte sich wie selbstverständlich bei ihr ein. Rayna war es ganz recht. Ihr war ein wenig schummrig. Die zwei Gläser Champagner in so kurzer Zeit waren wohl etwas viel gewesen. Dazu noch die High Heels. Da war es besser, sich an einer Freundin festhalten zu können.
„Auf, auf, meine Damen. Dort müssen wir hin“, spornte Beatrice die Mädchen an und scheuchte sie den Pier entlang.
Lachend und kichernd folgten sie Beatrice. Je weiter sie liefen, umso größer wurden die Schiffe.
„Dort ist die Aurelia“, erklärte Beatrice und deutete auf eine gigantisch hohe Yacht.
„Wow“, staunte Tamara. „Wie geil ist das denn?“
Rayna konnte Tamaras Begeisterung nur teilen. Sie war noch nie auf einem so großen Schiff gewesen. Als sie näher kamen, sah Rayna zwei schwarze Kerle, breit wie Schränke, auf der Gangway stehen. Beatrice hielt noch einmal an und drehte sich zu den Mädchen um. „Nur damit das klar ist. Ich bringe euch hinein. Dann seid ihr auf euch allein gestellt. Ihr seid alle alt genug und braucht keinen Babysitter mehr, oder?“
Rayna lachte mit den anderen zusammen. Wenn es nach ihr ging, konnte die Party beginnen. Sie hatte Lust zu feiern, zu tanzen und das ganze Chaos in ihrem Leben zu vergessen.
Beatrice betrat die Gangway und hielt direkt auf die zwei Kerle zu.
„Ich habe die Mädchen dabei“, erklärte sie und fuhr einem der Männer spielerisch über die Brust. Dieser ergriff ihren Arm so schnell, dass Rayna seinen Bewegungen nicht ganz folgen konnte.
„Pass auf, du Biest“, knurrte er Beatrice an, die ihre dunklen Haare in den Nacken warf und laut lachte.
Der Türsteher ließ Beatrice’ Hand los. Sie winkte die Mädchen hinter sich her. Rayna beeilte sich, an den Männern vorbeizugehen, die sie kommentarlos passieren ließen.
„Noch ein kleiner Tipp. Die älteren Herren sind die Spendabelsten“, sagte Beatrice, als sie das Deck betraten.
Dezente Musik aus dem Inneren war zu hören. Hier oben standen die Gäste – alle in eleganten Abendroben – an Stehtischen zusammen. Weiter hinten gab es auch ein paar Bistrosessel.
Keiner schien von ihnen Notiz zu nehmen. Die Gäste unterhielten sich angeregt. Nur ein hagerer Mann, Ende fünfzig, mit schütterem, bereits ergrautem Haar kam auf sie zu. Er trug einen teuer aussehenden schwarzen Anzug und strahlte über das ganze Gesicht, als er zu ihnen trat.
„Darf ich euch unseren Gastgeber, Isaak, vorstellen.“
„Willkommen an Bord der Aurelia“, begrüßte er die Mädchen. „Ich suche für heute Abend noch eine Begleitung an meiner Seite. Möchte mir jemand Gesellschaft leisten? Gerne zeige ich euch das Schiff und auch meine privaten Räumlichkeiten unter Deck.“
Rayna schluckte und blickte betreten zu Boden. So viel Alkohol konnte sie überhaupt nicht trinken, dass sie diesen alten Kerl attraktiv fände. Der Typ war nicht nur viel zu alt, sondern sah halb verhungert aus mit den eingefallenen Wangen.
„Ich würde mich sehr freuen“, erklärte Carolin schüchtern und trat vor.
Isaak strahlte sie an, reichte ihr eine Hand und zog sie an sich. Carolin ließ es zu, dass er sie auf beide Wangen küsste und dann besitzergreifend seinen Arm um ihre Mitte schlang.
„Reizendes Mädchen. Wie ist dein Name?“
„Carolin.“
„Komm mit, wir besorgen dir erst mal etwas zu trinken.“ Isaak ging mit der jungen Frau fort.
„In der Kajüte ist mehr los als hier oben“, erklärte Beatrice und deutete auf eine Tür, die gerade von innen aufgeschoben wurde, als ein älteres Paar an Deck kam. „Na los!“
Mia, Tamara und Rayna sahen sich an, dann folgten sie Beatrice.
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