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Heimatlos – Leseprobe

Kapitel 1

„Lauft!“
Die Worte hallten durch das leere Terminal. Serita, die rechts einen großen Rollkoffer zog und an der linken Hand ihre kleine Nichte führte, blickte erschrocken ihren Bruder an. Dieser und seine Frau drehten sich in diesem Moment panisch um. Seritas Hand schloss sich fester um die des kleinen Mädchens, während auch sie zurückblickte. Der Schleuser hatte sein Schwert gezückt und versperrte breitbeinig drei Vampiren den Weg. Alle drei trugen hochgeschlossene Highwaymanmäntel. Die Kragen waren nach oben geklappt, wodurch die Gesichter der Männer größtenteils verborgen blieben. Nur die unnatürlich glühenden Augen waren deutlich zu erkennen. Serita hatte die Männer noch nie gesehen und doch wusste sie, wer diese Krieger waren. An ihren Schultern prangte jeweils das Zeichen Alessandro Custos, das Emblem des Blutfürsten, dem ihr Bruder einst die Treue geschworen hatte. Woher kamen die Krieger? Ihr Auftrag war nicht schwer zu erraten. Sie hatten gewusst, welches Risiko sie mit ihrer Flucht auf sich nehmen würden.
Serita blickte abermals zu ihrem Bruder, dessen Frau sich an seinem Arm festklammerte.
„Lauft!“, brüllte der Schleuser ein weiteres Mal. „Ich halte sie auf.“
Bewegung kam in Serita. Sie ließ ihren Koffer stehen, hob Luna hoch und rannte mit ihr los. Sie musste das menschenleere Terminal hinter sich lassen, musste belebtere Bereiche des Flughafens aufsuchen. Erst dann war sie in Sicherheit. Auch wenn es mitten in der Nacht war, kamen hier im Newark Flughafen noch immer Maschinen voll mit Menschen an. Auf jeden Fall zu viele Zeugen, um einen Übergriff zu wagen.
Endlos lang erstreckte sich der leere Korridor vor ihr. Hinter ihr war Tumult zu hören. Die Verfolger kamen näher. Dem Schleuser war es nicht gelungen, alle drei gleichzeitig aufzuhalten. Sie blickte sich um. Gerade parierte er einen Schwerthieb und wich geschickt der Attacke eines zweiten Kriegers aus, indem er sich zu Boden fallen ließ, sich abrollte und wieder auf die Beine sprang. Der dritte Angreifer hatte ihren Bruder und dessen Frau, die hinter ihr her stürzten, fast erreicht. Es war aussichtslos. Nie würde sie schnell genug hier fort kommen. Nicht mit Luna im Arm. Das Mädchen zurückzulassen kam jedoch nicht in Frage.
Wieder der Blick nach vorne, wieder nur der endlose Gang. Zu ihrer Linken befanden sich eine Sitzgruppe und ein Gate-Schalter. Einige Meter von ihr entfernt war ein geschlossener Duty-Free-Shop. Auch hier gab es keine Möglichkeit sich zu verstecken. Die Tür mit dem Toilettensymbol war zu weit entfernt, als dass sie diese rechtzeitig erreicht hätte. Auf der anderen Seite stand eine Werbesäule. Vermutlich ihre einzige Chance.
Luna quietschte und schlang ihre Arme fester um Seritas Hals. Beruhigend strich sie über die langen braunen Haare des kleinen Mädchens und drückte es näher an sich, darauf bedacht, nicht zu viel Kraft auszuüben. Dann presste sie sich mit dem Rücken gegen die Säule, versuchte, sich möglichst schmal zu machen, und lauschte.
„Nein!“ kreischte ihre Schwägerin. Ein Poltern war zu hören, doch Serita wagte nicht, hinter ihrem Versteck hervorzuspitzen.
„Lass meine Frau los. Ihr wollt doch mich“, hörte sie ihren Bruder Alejandro auf spanisch sagen.
„Nein, Jandro, nicht“, protestierte seine Frau Lucida.
Lachen erklang, und gleich darauf ein Rascheln. Etwas schleifte über den Boden und Lucida schluchzte auf
„Lass meine Frau gehen. Bitte. Sie hat nichts mit der Sache zu tun.“ Wieder Alejandro.
Serita schloss die Augen, presste die bebenden Lippen fest aufeinander und sandte ein Stoßgebet zum Himmel.
„Das hättest du dir früher überlegen sollen, Dominguez“, antwortete ihm eine Stimme ebenfalls auf spanisch.
„Bitte tut ihr nichts.“
Serita hoffte inständig, dass ihre Gegner auf die Bitte ihres Bruders eingehen und Lucida kein Leid zufügen würden. Ihre Lippen formten unablässig wortlose Gebete.
Ein Klirren. Es hörte sich an, als ob Stahl auf Stahl prallte. Da kämpfte jemand. War das der Schleuser?
„Die Frau und das Mädchen fehlen“, stieß einer der Krieger ärgerlich hervor. „Ich kann sie nicht riechen, zu viele menschliche Gerüche in der Luft.“
Serita drückte sich noch enger an die Säule, presste Luna an sich. Der Herzschlag des Mädchens raste. Seine kleinen Hände hatten sich in Seritas Pullover gekrallt.
„Nein!“, kreischte Lucida und brach in qualvolles Schluchzen aus. „Ihr Monster!“
Etwas schlug hart am Boden auf. Wo war die Stimme ihres Bruders? Serita versuchte mühsam ihr Zittern zu verbergen. Bitte, lass ihn noch am Leben sein, betete sie unablässig.
Serita presste die eine Hand auf Lunas Ohr, während sie den Kopf des Mädchens fest an ihre Brust drückte. Sie wollte nicht, dass die Kleine ihre Mutter so schreien hörte.
„Bitte! Nein!“, flehte Lucida.
Serita hörte Stoff reißen, ein Knacken. Etwas fiel dumpf zu Boden. Abermals schrie Lucida auf, dann plötzlich war es still. Zu still.
Luna zitterte. Serita küsste das Mädchen auf das Haar und strich ihm beruhigend über den Rücken. Sich unauffällig zu verhalten, war ihre einzige Chance. Vielleicht hatten sie Glück, und die Angreifer fanden sie nicht. So klein diese Hoffnung auch war, sie war die einzige, die sie hatten.
„Such die Frau und das Mädchen“, gab einer der Vampire den Befehl.
Schritte näherten sich ihrem Versteck.
„Verdammt!“, schrie der erste Vampir. Tumult folgte, Stahl klirrte, Füße scharrten über den Boden.
„Wo seid ihr?“, hörte sie eine tiefe männliche Stimme rufen. Diesmal zwar auf Englisch, aber mit einem deutlich spanischen Akzent. „Na kommt schon, Mädchen! Es wird euch nichts passieren.“
Serita erstarrte. Der Krieger war schon sehr nah. Sie durfte sich nicht bewegen, sich nicht verraten. Vielleicht hatte sie tatsächlich Glück, und Lunas menschlicher Geruch überdeckte ihren eigenen. Etwas klapperte, etwa einen Meter von ihr entfernt.
„Ich werde euch finden“, verkündete die Stimme, die Serita einen eiskalten Schauer den Rücken hinunter laufen ließ. Die Schritte entfernten sich. „Ich werde dich finden, meine Hübsche. Komm zu mir, wir könnten sicher eine Menge Spaß haben, bevor ich dich nach Hause bringe.“ Er kam wieder näher.
Nach Hause. Fast hätte Serita laut aufgelacht. Sie hatte kein Zuhause mehr. Sie hatte nichts mehr. Nur noch das Kind, das sich vertrauensvoll an sie klammerte. Und für das Mädchen würde sie kämpfen. Sie würde es mit ihrem Leben beschützen.
„Na, wen haben wir denn da?“
Luna schrie auf, aber es war sowieso zu spät. Der Vampirkrieger stand vor ihnen. Die kalte Spitze seines Schwertes war genau auf Höhe ihres Halses. Sie blickte ihren Feind an, sah in seine harten Augen und wusste, dass sie nicht auf Gnade hoffen konnte. Währenddessen krallte Luna ihre kleinen, spitzen Fingernägel fest in Seritas Hals.
„Das Kind …“, flehte sie und drückte den Kopf der Kleinen fest an sich.
Der Krieger streckte seine Hand aus, griff nach dem langen Haar des Kindes und ließ es langsam zwischen seinen großen, schwieligen Fingern hindurch gleiten.
„Wirklich schade“, murmelte er und blickte Serita herausfordernd an.
Die schluckte und presste die Lippen fest aufeinander. Ihn ein weiteres Mal anzubetteln, würde ihm Freude machen, ihr aber nichts bringen. Und sie wollte ihm nicht noch mehr Vergnügen bereiten. Deswegen schwieg sie standhaft, das Kind fest im Arm haltend.
Ein Sausen war zu hören, als ein Schwert durch die Luft schnitt. Nackter Stahl blitzte auf. Blut. Serita schloss schnell die Augen, als ihr die klebrige Flüssigkeit ins Gesicht spritze. Und ehe sie es verhindern konnte, schossen ihre Fänge hervor. Die Zunge leckte über ihre Lippen. Sie kostete das Elixier. Frisches, warmes Blut. Es war metallisch, schmeckte kraftvoll und würzig. Serita nahm eine leicht herbe, männliche Note wahr. Sie öffnete wieder die Augen. Zu ihren Füßen lag ein lebloser Körper, in einen schwarzen, wallenden Mantel gehüllt. Die Blutlache um ihn herum breitete sich schnell aus, erreichte gerade die Spitzen ihrer Turnschuhe. An die Säule gepresst, konnte sie nicht zurückweichen. Etwas weiter abseits lag der Kopf. Die Augen sahen sie nun leer und leblos an. Seritas Magen begann zu rebellieren. Saphirblaue Augen hielten sie davon ab, hier und jetzt ihren Mageninhalt auf dem Boden zu verteilen. Der Schleuser steckte gerade das Schwert weg und hielt ihr die Hand hin.
„Wir müssen fort“, drängte er sie.
Umständlich, Luna noch immer auf dem Arm haltend, ergriff sie die helfende Hand und stieg über die Blutlache hinweg.
„Gib sie mir!“, forderte der Schleuser sie auf.
Serita zögerte einen Moment, sah auf das Mädchen hinab, das ihr einziger Lebensinhalt geworden war.
Konnte sie dem Schleuser vertrauen? Wenn nicht ihm, wem dann?
Der große Vampir nahm ihr Luna behutsam ab. Geschickt hatte er sich so gestellt, dass das Kind die Grausamkeiten, die sie umgaben, nicht sehen konnte. Luna barg ihr Gesicht vertrauensvoll an seiner Schulter. Er strich ihr über den Kopf, küsste sie sanft auf die Schläfe und murmelte ein paar beruhigende Worte. Lunas Herzschlag beruhigte sich und Serita hörte ihren gleichmäßigen Atem. Der Schleuser hatte seine vampirischen Fähigkeiten eingesetzt und das Mädchen schlafen geschickt.
„Dieser Sicherheitsbereich ist zwar gesperrt, aber ich weiß nicht, wie lange wir hier allein sein werden. Zieh das aus!“
Serita ließ ihren Blick an sich hinunter gleiten. Auf ihrer Jacke war eine dicke Blutspur. Ihre Hände waren ebenso schmutzig, und als sie mit dem Ärmel über das Gesicht strich, waren noch mehr Spuren auf ihrer Jacke. Sie gehorchte und schälte sich aus der Jacke. Ihr Pullover hatte auch ein wenig Blut abbekommen, aber bei weitem nicht so schlimm wie die Jacke. Auch ihre Jeans zierten ein paar Spritzer.
„Benutz’ die Jacke, um deine Schuhe sauber zu machen!“
Serita tat, wie ihr geheißen.
Als sie fertig war, befahl ihr der Schleuser: „Lass die Jacke liegen und komm!“ Ohne auf sie zu warten, ging er mit Luna los.
Serita konnte nicht anders, musste ihren Blick über die gespenstisch ruhige Szenerie gleiten lassen. Abgesehen von dem Krieger zu ihren Füßen, lag etwas entfernt noch einer. Daneben entdeckte sie die leblosen Körper ihrer Schwägerin und ihres Bruders. Die Köpfe fehlten. Ein ganzes Stück von ihnen entfernt lag ein weiterer enthaupteter Krieger. Eine eiskalte Hand umklammerte Seritas Herz und drückte ihr die Luft zum Atmen ab. Benommen eilte sie dem Schleuser hinterher.

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